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Rede Totensonntag von Oberstleutnant Lars T. Decker, Kommandeur ItBtl 281

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Sehr geehrte Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren.

Ich darf Sie zu der Gedenkveranstaltung hier auf dem Ehrenfriedhof in Gerolstein herzlich begrüßen.

Das ich heute hier zu Ihnen sprechen darf ehrt mich sehr.

Der November trägt im Volksmund den Beinamen „Totenmonat“. Nicht umsonst, denn in diesen grauen Wochen liegen die offiziellen Tage für Trauer und Tod: am Monatsanfang Allerheiligen und Allerseelen, die katholischen Gedenktage; am Monatsende der Totensonntag der Protestanten. Darin eingebettet der Volkstrauertag, an dem wir uns an die Kriegstoten und die Opfer von Gewaltherrschaft erinnern. So auch heute auf dem Ehrenfriedhof Gerolstein.

Ich bin der festen Überzeugung, dass das jährliche Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft immer noch zu Recht einen Platz in unserer heutigen Gesellschaft hat.

 

Meine Damen und Herren,

ich danke Ihnen, dass Sie sich heute die Zeit nehmen. Dass wir gemeinsam einen Feiertag begehen, den ich persönlich als schwer und schwierig empfinde.

Schwierig, weil über 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Zeitzeugen immer weniger werden beziehungsweise ganz fehlen. Da verstummen oder schweigen Stimmen, die aus erster Hand über die Gräuel und Grausamkeiten des Krieges berichten und aktiv und mit Leidenschaft dafür eingestanden sind, dass es in Deutschland und weltweit keine Alternative zu Frieden gibt, geben darf. Die Lebensberichte von Vätern, Großvätern, Müttern, Großmüttern, Onkel und Tanten als Wissensvermittlung aus persönlicher Erfahrung für junge Menschen sind verschwunden. Heutige Jugendliche erleben die Zeit nur noch in Form wissenschaftlich abstrakter Historikertexte aus Schulbüchern.

 

Millionen von Toten und Verletzten, entsetzlich verwüstete Landschaften und der Zusammenbruch von Wirtschaftssystemen in Europa waren die Folge.

 

Die Vergangenheit wiederholt sich nicht. Was sich aber wiederholt, sind menschliche Verhaltensweisen – im Guten wie im Bösen. Individuelles Leid, individuelle Schuld, persönliche Schicksale – seien sie auch Teil der Vergangenheit – berühren auch junge Menschen. Aus den Geschehnissen und Verhaltensmustern von einst erkennen und fühlen sie die Notwendigkeit, mit größtmöglichem Einsatz heute die verhängnisvollen Mechanismen der Vergangenheit vermeiden zu helfen. Und zwar gleichgültig, welcher Ethnie, Nation oder Religion sie angehören.

 

Die Wahrung des Friedens bleibt weiterhin stets ein hohes Gut, welches durch unterschiedlichste Maßnahmen erhalten wurde und werden muss!

 

Auch, wenn dem Anschein Rechnung getragen wird, leben wir eben nicht auf der sprichwörtlichen „Insel der Seligen“.

 

Die weltpolitische Lage ist angespannt, vielleicht angespannter als je zuvor. In vielen Regionen herrschen Krisen und Kriege. Nicht zuletzt die kontroverse Debatte hinsichtlich des Umgangs mit der Souveränität der UKRAINE und das damit verbundene Aufflammen früherer Zeiten des eisernen Vorhangs verdeutlicht die Notwendigkeit alles daran zu setzen, um den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen. Darüber hinaus schwelen immerwährende Krisen auf dem Afrikanischen Kontinent auf. Die Lage derzeit ist unruhig.

 

Diese Konflikte sind nicht nur Gegenstand distanzierter Betrachtung in den Abendnachrichten des Fernsehens, sondern sie betreffen uns unmittelbar.

Tausende Flüchtlinge suchen in Europa und bei uns Schutz und erinnern uns täglich daran.

Auch wir als Soldaten erfahren die Entwicklung der Krisenlage in der Welt am eigenen Leibe. Derzeit stehen Soldaten aus Gerolstein im IRAK, in MALI und auch in Jordanien im Einsatz, um Ihren Beitrag zur Stabilisierung zu leisten.

Verehrte Anwesende,

Ihnen kommt die Rolle als Multiplikator zu. Mit Ihrer Teilnahme an dieser Gedenkveranstaltung haben sie sich entschlossen einen Augenblick innezuhalten und durch Ihr Beispiel in Ihrem persönlichen Umfeld dazu beitragen, die Erinnerung an die leidvollen Erfahrungen wachzuhalten.

Wir richten unser Augenmerk auf vergangene Kriege und Konflikte, aber auch auf das bekannte langjährige couragierte Engagement der Hilfsorganisationen und der Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten.

 

Vielleicht können Sie durch Ihr Beispiel dazu beitragen, dass wir alle uns daran erinnern, dass unser Leben in Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit darstellt nur, weil wir selbst bisher von eigenen Erfahrungen mit Krieg, Not und Elend verschont geblieben sind.

Schon eine kurze Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die Betrachtung der Krisenregionen oder allein der Blick auf diesen Friedhof, kann hierzu entscheidend beitragen.

 

Meine Damen und Herren.

Bei solchen Gelegenheiten aber auch an Orten, wie diesen Ehrenfriedhof stellt sich mir und sicherlich vielen anderen die Frage nach dem WARUM.

 

WARUM fügen Menschen, anderen Menschen dieses entsetzliche Leid zu?

 

Kinder, die aus dem Leben gerissen werden, Väter die das Aufwachsen ihrer Kinder nicht miterleben konnten, Mütter die den Tod des eigenen Kindes erleben mussten.

 

WARUM geschah dies in der Vergangenheit und geschieht unverändert heute?

 

Viele Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche, historische Ableitungen, Deutungen wirtschaftlicher Entwicklungen sogar ethische Ansätze von Thomas von Aquin oder Immanuel Kant zur Erläuterung des gerechten Krieges werden als Begründung für Kriege herangezogen.

Auch heute sucht und gibt die Politik Rechtfertigungsgründe für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten in den Krisenregionen. Diese sind ohne Zweifel nachvollziehbar.

Ich stand einmal selbst in der Situation einer Familie die Nachricht überbringen zu müssen, dass der Familienvater und mir sehr guter Freund während eines Einsatzes in Afghanistan gefallen ist.

In dieser Situation, im Angesicht der Angehörigen, fällt es unendlich schwer die Frage nach dem „WARUM“ zu beantworten.

 

Ein anderes Mal stand ich als Totenwache neben dem aufgebahrten Sarg eines gefallenen Kameraden und als der Vater eines der Gefallenen an das Grab trat und unter Tränen seinen Sohn verabschiedete war die Frage wieder da.

 

WARUM?

 

Als ich diesen Ehrenfriedhof heute betrat, beim Lesen der Inschriften, die Kenntnis über die vielen unterschiedlichen Schicksale geben, ist die Frage nach dem WARUM auch für mich wieder präsent.

Ich habe keine Antwort auf diese vermeintlich so einfache aber tiefsinnige Frage.

 

Vielmehr trägt mich meine Einstellung und die Überzeugung, dass wir aus dem persönlich Erlebten, den leidvollen Erkenntnissen unserer Vergangenheit gelernt haben und immer wieder neu versuchen müssen, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

 

Jeder für sich und die Gesellschaft als Ganzes.

 

Geprägt von Frieden, Freiheit und Wohlstand und hoffentlich, individueller Zufriedenheit.

Eine Überzeugung, die es rechtfertigt, der Toten der vergangenen und aktuellen Krisen und Kriege zu gedenken.

Es berührt mich sehr, dass Sie die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Gerolstein zum Gedenken an die gefallenen Soldaten der Bundeswehr im Eingangsbereich des Friedhofes einen Gedenkstein errichtet haben.

Um Stätten des Gedenkens, wie diese, zu erhalten, habe ich mir erlaubt in guter Väter Sitte eine Spendendose des Volksbundes Deutsche Kriegsgräber mitzuführen und würde mich über jede Gabe freuen.

Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und Ihre Aufmerksamkeit.

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