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1. Gerolsteiner Stadtarchiv - Praktikum Paul Jakoby erforschte Schicksal von Margarethe Schmitt

Erstellt von Clara Zins-Grohé | |   Startseite gerolstein.org  Gerolstein & Stadtteile  Wohnen & Leben  Tourismus & Freizeit
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Paul Jakoby, Student der Geschichtswissenschaften an der Bundeswehr-Uni in Hamburg, hat seine Wurzeln in der Brunnenstadt. Jetzt ist er aus wissenschaftlichen Gründen zurück in die alte Heimat gekommen, um über nationalsozialistische „Euthanasie“-Morde und -menschenversuche zu forschen. 

Herr Jakoby, Sie sind 2002 in Gerolstein geboren, haben 2022 am Sankt-Matthias-Gymnasium Abitur gemacht und sind nun der erste Praktikant im Gerolsteiner Stadtarchiv. Was hat Sie motiviert, sich für dieses Praktikum zu entscheiden?

Paul Jakoby: Im Geschichtsstudium dreht sich alles um die großen historischen Entwicklungen und Ereignisse. Da bleibt wenig Raum, um sich mit der Geschichte der eigenen Region oder des Heimatortes zu beschäftigen. Als ich dann über Bekannte von dem Stadtarchivprojekt erfahren habe, war das eine gute Gelegenheit dazu. Außerdem bot sich mir so die Chance, neben meinem Studium in Hamburg, nochmal etwas Zeit in der Eifel zu verbringen.

Was sind Ihre Erwartungen an das Praktikum und was ist Ihr Ziel?

Jakoby: Ich habe die Erwartung, mehr über die Gerolsteiner und Eifler Geschichte zu erfahren und das ehrenamtliche Team beim weiteren Ausbau des Archivs zu unterstützen. Mein Ziel ist es außerdem, das Stadtarchiv in seiner Rolle als Ort der Bewahrung und Vermittlung von lokalem Geschichtswissen weiterzubringen. Ich halte es für ein nützliches und interessantes Projekt, das der Stadt einen großen kulturellen Mehrwert bringt.

Sie forschen primär zu Gerolsteiner Opfern der nationalsozialistischen „Euthanasie“ – also von psychisch Kranken, Alkoholkranken und behinderten Menschen – die aufgrund ihrer Erkrankung ermordet wurden. Wie geht man als junger Mensch mit so einem Thema um?

Jakoby: Konkret habe ich zu einer Opferbiografie geforscht: Eine Frau, die in Gerolstein geboren und 1941 in der Tötungsanstalt Hadamar in Hessen ermordet wurde. In diesem Fall war es eine Herausforderung, überhaupt Dokumente zu finden, da die Patientenakte leider nicht im Bestand der 30.000 noch vorhandenen Akten von Euthanasieopfern im Bundesarchiv enthalten ist. Es existieren allerdings noch bruchstückhafte Hinweise in Form von Transportlisten, Statistiken in mehreren Archiven und dem Geburtseintrag beim Standesamt. Außerdem habe ich Informationen in den Unterlagen der ehemaligen Tötungsanstalt Hadamar gefunden.

Auf welche Probleme sind sie bei Ihren Nachforschungen gestoßen?

Jakoby: Ein Problem ist sicherlich der Datenschutz. Spezielle Forschungsergebnisse dürfen nicht veröffentlicht werden, wenn sie Rückschluss über mögliche vererbbare Krankheiten beinhalten. Im Zweifel könnten sie nämlich Gesundheitsdaten von lebenden Angehörigen verraten. Auch war es mir aufgrund von Datenschutz bis jetzt nicht möglich, die Angehörigen ausfindig zu machen. Da auch eine Stolpersteinlegung seitens der Stadt angedacht ist, könnte es sein, dass sie eventuell Teil der Zeremonie für ihre ermordete Angehörige sein wollen. Der Datenschutz ist aber kein K.O.-Kriterium, denn die Forschungsfreiheit kann das Datenschutzinteresse überwiegen.

Worauf lag der Fokus Ihrer Recherche?

Jakoby: Der Fokus lag auf der Biografie des Euthanasieopfers Margarethe Schmitt und dem Verlauf der NS-Krankenmorde mit Schwerpunkt auf der Aktion T-4   (*Erklärung im  Anhang)

Was war ihr Untersuchungsschwerpunkt?

Jakoby: Mich hat es besonders beschäftigt, wie es den Nationalsozialisten mithilfe von Ärzten und Pflegepersonal gelang, die systematische Ermordung von bis zu 300.000 Euthanasieopfern in Deutschland zu organisierten und dies durch die Bezeichnung der Opfer als „unwertes Leben“ zu rechtfertigen. Die Zwischenanstalt in Andernach und die Tötungsanstalt in Hadamar grenzten dabei direkt an die Gesundheitseinrichtungen, welche ursprünglich zur Heilung von erkrankten Menschen vorgesehen waren. Für die Umsetzung dieser Verbrechen spielte die Rechtfertigungsstrategie der Nazis eine wichtige Rolle: Neben den ideologischen Gründen wurden auch ökonomische Vorteile betont, um die sogenannten „Nutzlosen-Esser“ besonders während dem Krieg loszuwerden. Grade letzteres Argument hat Anstaltsmitarbeitende zur Komplizenschaft bewegt.

Haben Ihre Nachforschungen bereits Reaktionen hervorgerufen?

Jakoby: Ja, neben der geplanten Stoperstein-Verlegung wird es wahrscheinlich auch eine in Konz geben. Im Laufe meiner Forschung hat sich zudem herausgestellt, dass Margarethe Schmitt den Großteil ihres Lebens in Konz gelebt hat. Wir stehen bereits mit der Stadt in Kontakt, um gegebenenfalls dort einen Stolperstein zu verlegen und so ein Gedenken an ihrem ehemaligen Lebensmittelpunkt zu ermöglichen.

Was sagen Sie zum ehrenamtlichen Team des Stadtarchivs?

Jakoby: Das Stadtarchiv Team leistet eine großartige Arbeit, und wenn es um die Gerolsteiner Geschichte geht, kann man dort keinem etwas vormachen. Verbesserungspotential besteht nur im Durchschnittsalter der Ehrenamtlichen - deshalb kann ich nur jeden geschichtsinteressierten jungen Menschen auffordern, mal einen Blick ins Archiv zu werfen und sich einzubringen.

 

 

* Was bedeutet "T4" ?

„T4“ ist die Abkürzung für die Adresse der damaligen Zentraldienststelle T4 in Berlin: Tiergartenstraße 4. : Sie war Teil des Apparats der Nazionalsozialisten, die die systematische Ermordung von Menschen mit vermeintlich unheilbaren körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen. Bis 1945 fielen ihr 70.000 Menschen zum Opfer. Insgesamt gab es während der Nazidiktatur rund 300.000 Euthanasie-Morde sowie weitere 400.000 Zwangssterilisationen.

 

Wer war Margarethe Schmitt?

 Margarethe Maria Schmitt wurde am 20.04.1906 in Gerolstein, vermutlich in einer der Bahnwohnungen im Kasselburger Weg, geboren. Sie war das zweite Kind von Nikolaus und Maria Schmitt. Ihr Vater war Lokomotivheizer und Eisenwarenhändler und hat mit seiner Familie vermutlich zwischen 1904 – 1909 in Gerolstein gelebt. Am 01.02.1934 wurde Margarethe Schmitt in die Provinzial Pflege- und Heilanstalt Andernach eingeliefert. In der geschlossenen Anstalt wurde sie zwangsweise verwahrt. Besonders ist, dass sie nach dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Personal als erbkrank angezeigt, aber nicht der Zwangssterilisation unterzogen wurde. Die Sterilisation wurde nach Aktenlage bei Margarethe Schmitt mit dem Vermerk „Aufbewahrung“ nicht durchgeführt. Dies lag daran, dass die Ärzte bei Patienten ohne Aussicht auf Heilung und mit dauerhaftem Verbleib in der Anstalt keinen Nutzen in einem Eingriff sahen. Nach Sechs Jahren als Patientin der Provinzial Pflege- und Heilanstalt Andernach wurde sie am 06.05.1941 im Rahmen der geheimen „T-4 Aktion“ mit den grauen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft“ nach Hadamar deportiert. Dort wurde sie noch am selben Tag in der Gaskammer der Tötungsanstalt ermordet. In ihrem Standesamt Eintrag wurde ihr Tod am 16.05.1941 eingetragen. Das liegt daran, dass der Verwaltungsapparat der Tötungsanstalten den Angehörigen die wahre Todesursache verschwiegen haben. Stattdessen wählten sie in den Mitteilungen erfundene Gründe wie „Lungenentzündung“ und verschoben das Datum um einige Tage oder Wochen, um in den Todesstatistiken keine auffälligen Häufungen zu erzeugen. Trotz dieser gezielten Verschleierungsversuche konnte die T-4 Aktion nicht vollständig vor der Öffentlichkeit verheimlicht werden. Schließlich wurde die Aktion nach kirchlichem Protest im August 1941 offiziell eingestellt. Sie lief jedoch insgeheim dezentral bis zum Kriegsende 1945 weiter.

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An Shopping-Sonntagen nutzen Gerolsteiner Bürgerinnen und Bürger gerne die Gelegenheit, einen Blick ins Stadtarchiv zu werfen.
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